Am 10. März war es genau 25 Jahre her, dass 73 Frauen und Männer den Dombauverein Speyer gegründet haben. Der Verein feiert sein 25-jähriges Bestehen unter anderem damit, dass er einen Tag später der Öffentlichkeit ein Blindentastmodell des Speyerer Doms übergab. Das detailgetreue Modell aus Bronze im Maßstab 1:100 wird dauerhaft auf einem Sandsteinsockel auf der Südseite des Doms stehen.

Es ist das größte seiner Art. Bei der Realisierung des Projektes wurde der Dombauverein insbesondere von Spenden des Lions Club Speyer in Höhe von 20.000 Euro und der Unternehmerin Susanne Klatten sowie dem Unternehmer Stefan Quandt mit jeweils 10.000 Euro unterstützt.
Die Übergabe und gleichzeitige Einweihung des Modells fand unter regem Interesse von Besuchern und Medien statt. Wetterbedingt wurden die Reden und Grußworte in den Dom verlegt, wo die Dombläser mit strahlenden Klängen für den feierlichen musikalischen Rahmen sorgten.
Dr. Gottfried Jung, Vorsitzender des Dombauvereins, begrüßte die Gäste. Er freute sich über ein „wunderbares Modell an einem wunderbaren Standort“. Man habe
von Anfang an mit Betroffenen und Behindertenbeauftragten zusammen gearbeitet, um bei Gestaltung und Aufstellung des Modells die Belange der Nutzer gut zu berücksichtigen. So sei in der Ausstellung des Modells ein Leitsystem mit inbegriffen, das den Blinden die Auffindbarkeit des Modells ermöglicht. Das Tastmodell richte sich zunächst an Sehbehinderte und Blinde, sei aber ein Angebot für alle Besucher des Doms. Mit dem Blindentastmodell sei für den Dombauverein ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen, so Jung. Einen besonderen Dank sprach der den Spendern aus, welche die Aufstellung des Tastmodells erst möglich gemacht hatten.
Egbert Broerken, der mit der Herstellung des Modells betraut worden war, erklärte, wie er auf die Idee gekommen war, Tastmodelle für Blinde zu kreieren. In seiner Heimat Soest gibt es eine Schule für Blinde und so habe er beobachtet, wie blinde Kinder vor dem Soester Dom gestanden und den Ausführungen einer Führerin gelauscht hätten. Diesen wollte er „etwas an die Hand geben“, um den Dom und seine Dimensionen erfassen zu können.
Das Tastmodell des Speyerer Domes wurde sofort einem ersten Praxistest unterzogen. Ulla Gremminger, Gemeindereferentin im Ruhestand und selbst blind, hatte das Modell bereits vorab betastet. Sie lobte die Plastik als „sehr gelungen und detailstark“. Da blinde Menschen Gebäude visuell in ihrer Gesamtheit nicht erfassen könnten, ermögliche ihr das Tastmodell einen Gesamteindruck des Doms zu bekommen. „Ich hoffe, dass viele Menschen Freude an dem Modell haben und es ein kommunikativer Treffpunkt wird“, sagte Gremminger.
Die Spender, ohne deren Hilfe es nicht möglich gewesen wäre, die rund 40.000 Euro für die Erstellung, Fertigung und Aufstellung des Modells aufzubringen, freuten sich über das fertige Tastmodell. Knut Mertens, Pastpräsident des Lions Club Speyer, berichtete von der Begeisterung des Clubs für die Idee eines Tastmodells und wie man mit Hilfe eines Benefizkonzertes die erforderlichen Spendengelder gewinnen konnte. Unter dem Titel „Tasten für Tasten“ hatte Domorganist Markus Eichenlaub im Juni 2019 im Dom gespielt und damit zur Finanzierung des Modells beigetragen.
Landesblindenbeauftragter Matthias Rösch sprach für das Förderprogramm „barrierefrei, inklusiv und fair“. Mit dessen Zuwendung in Höhe von 5.000 Euro wurde das Blindenleitsystem im Boden finanziert, das es sehbehinderten Menschen erleichtert, das Blindentastmodell zu finden. Rösch freute sich über das Modell als einen weiteren wichtigen Baustein für Barrierefreiheit und Inklusion am Dom.
„Speyer war reif für ein solches Modell“, sagte Bürgermeisterin Monika Kabs anlässlich der Einweihung. Sie dankte dem Team des Dombauvereins für sein Engagement und nannte das Tastmodell eine „unglaubliche Bereicherung“.
Der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann sprach von einer „berührende Aufgabe“, das Modell einweihen zu dürfen. Inklusion sei eine Glaubensaufgabe. Das Modell ermögliche ein inneres Sehen, wie es für alle Menschen im Leben unerlässlich sei. „Ohne ein inneres Sehen nutzt das äußere Sehen nichts“, so Wiesemann. So sei es auch beim Dom entscheidend, was bei seiner Betrachtung oder Betastung im Innern des Menschen passiere.
Die gut 100 Gäste, darunter Vertreter der Behindertenseelsorge des Bistums, der evangelischen Landeskirche und der Stadt und des Landes, konnten abschließend das gerade enthüllte Modell betrachten. Bischof Wiesemann sprach ein Gebet und segnete das Modell mit Weihwasser. Damit verband er den Wunsch „dass das Modell ein Ort der Gemeinschaft werde, ein Segensort“.

Tastmodelle als Beitrag zur Inklusion
Inklusion und Barrierefreiheit sind wichtige Fragen, mit denen sich das Domkapitel fortwährend beschäftigt, um den Dom für Menschen mit Einschränkungen besser zugänglich zu machen. Das Tastmodell ist ein wichtiger Beitrag zur Inklusion. In Deutschland leben aktuell mindestens 1,2 Millionen Menschen mit Sehbehinderungen. Jährlich erblinden ca. 10.000 Menschen neu. Das ist vor allem auf die erhöhte Lebenserwartung zurückzuführen, da viele Erblindungen ab dem 80. Lebensjahr auftreten.
Das dreidimensionale Blindentastmodell bietet diesen Menschen die Möglichkeit, den Dom haptisch zu erkunden und sich so eine Vorstellung von den Formen und Dimensionen der romanischen Kathedrale zu machen. Mit einer Gesamtgröße von 150 mal 80 Zentimetern und einer Standhöhe von 70 Zentimetern ist das Modell ideal für blinde Besucher, da sie das gesamte Modell gut ertasten können
Aber auch für Menschen ohne Sehbehinderung ist das Modell eine attraktive Informationsquelle. Bei dem gewählten Maßstab von 1:100 lassen sich die Gebäudeteile detailliert und dennoch übersichtlich darstellen. Die Standhöhe ist so gewählt, dass auch Rollstuhlfahrer das Modell erreichen und betrachten können. Für alle Nutzer bietet das Modell, den Dom aus einer neuen Perspektive zu erfahren. So werden Dinge erkennbar, die sonst durch die Höhe des Gebäudes der Betrachtung entrückt sind. Eine Inschrift in Braille und normaler Schrift vermittelt zudem einige grundsätzliche Informationen zum Dom wie beispielsweise das Weihedatum. Das Bronzemodell ist auf einem Sockel aus rotem Sandstein befestigt, dessen Oberflächenbearbeitung der romanischer Säulen im Dom nachempfunden ist.
Der Bildhauer Egbert Broerken und sein Sohn Felix Broerken arbeiteten seit April 2019 an dem Modell. Beide verfügen über viel Erfahrung in diesem Bereich und haben auch die Blindentastmodelle der Dome in Worms und Mainz gestaltet. Als Grundlage für das Modell dienten Bauzeichnungen, fotogrammetrische Aufnahmen und Fotografien. Das Tastmodell wurde im technisch aufwändigen Wachsausschmelzverfahren gegossen, das höchste Detailtreue ermöglicht. Es besteht aus hochwertiger Zinnbronze mit einem Carnauba-Hartwachsüberzug zum Schutz vor Umwelteinflüssen. So kann das Modell das ganze Jahr über im Freien stehen und lädt alle Besucher dazu ein, den Dom zu ertasten und neu zu entdecken. (spi/Foto: Klaus Landry)