Sich selbst zurücknehmen, damit Gott in den Mittelpunkt rücken kann – so beschreibt Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann die Vorbereitung auf Ostern: "Die Einübung in Fasten und Verzicht gehört fest zur menschlichen Religions- und Kulturgeschichte." Den eigenen Konsum bewusst reduzieren und das Auge für das Wesentliche schärfen, könne das eigene Herz öffnen.
Dabei stellt sich Bischof Wiesemann auch der Frage, ob durch die Pandemie nicht bereits hinreichend Verzicht geübt wurde und es nun nicht an der Zeit sei, die Entbehrungen wiedergutzumachen.
Bischof Wiesemann hält ein simples Nachholen von Konsumentscheidungen nicht für tragfähig. Einerseits, weil Corona noch immer nicht überwunden ist. Andererseits., weil neue Krisen hinzugekommen sind. Infolgedessen zwingen beispielsweise gestiegene Heiz- und Energiekosten sowie Inflation zu unfreiwilligen Entbehrungen. Beim Bewältigen dieser Situation helfen "die drei Säulen der Frömmigkeit: Gebet, Fasten und Almosen." Das Gebet gebe Kraft, weil es dem Machtwahn des Menschen die Herrschaft und Gerechtigkeit Gottes entgegensetze. Das bewusste Fasten sei ein Akt der Solidarität mit allen, denen das Nötigste zum Leben fehlt. Mit den Almosen verbinde sich ein persönliches Opfer, das als Beteiligung am Aufbau einer gerechteren Welt verstanden werden soll. Die Misereor-Kollekte in der Fastenzeit sei hierfür ein Beispiel. Dazu gehöre auch ein Sonderkollekte für die Betroffenen des katastrophalen Erbebens in der Türkei und Syrien.
Gerät die Welt aus den Fugen? Immer schon mussten laut Bischof Wiesemann Macht- und Geltungsstreben, die Habsucht und Gier sowie der Narzissmus des Menschen in zivilisierte Bahnen gelenkt werden: "Der Machtwahn, der sich an kein Völkerrecht hält und jetzt im Ukrainekrieg offenbar wird; die Besitzgier, die viele ignorant sein lässt gegenüber den Bedrohungen des Klimawandels und der himmelschreienden Ungerechtigkeit, dass die ärmsten Länder am meisten darunter zu leiden haben." Verzicht und damit eine achtsame Geistes- und Lebenshaltung seien hilfreich dabei, dass die Hemmschwellen gewahrt bleiben. "Wir brauchen gegen die Enthemmung der Kräfte eine geistige Erneuerung in unserer Welt, eine Spiritualität, die aus der Achtung vor Gott und der "Ehrfurcht vor dem Leben", nach Albert Schweitzer, geboren ist.", so der Bischof. Dazu gehöre zum Beispiel der Synodale Weg in Deutschland und darüber hinaus.
Geschichtlich sind in der Kirche, nach Auffassung von Bischof Wiesemann, mit den drei "evangelischen Räten" nützliche traditionelle Hemmschwellen verankert. Sie lauten Gehorsam, Armut und Keuschheit. Dabei bedürfe es einer zeitgemäßer Interpretation: Gehorsam zielt nicht auf blinde Anerkennung kirchlicher Autorität, sondern dem Gehorsam gegenüber Wahrheit und Gerechtigkeit ab. Mit Armut ist die Hinterfragung des eigenen Lebensstils und die Solidarität mit den Armen gemeint. Und Keuschheit bedeutet empathisch und hörend miteinander umzugehen.
"Der geistliche Schatz, der der Kirche anvertraut ist, kann Wertvolles beitragen. Überall, wo wir uns als Kirche aufmachen und geistlich erneuern, können wir Hoffnungszeichen in die Welt senden.", ist sich Bischof Wiesemann sicher. Der bewusste Verzicht sei ein Symbol für die Übernahme von Verantwortung für die gemeinsame Kirche. " Dann werden wir wieder mehr zu dem, wohin uns unsere Vision führen will: ein Segensort für die Menschen und ihren Weg in die Zukunft."