Von Friederike Walter
Auf große Resonanz stieß die Predigt von Peter Müller, mit der er am 29. Februar die Reihe der diesjährigen Fastenpredigten im Speyerer Dom eröffnete. Der langjährige Ministerpräsident des Saarlandes und Verfassungsrichter a.D. war der Einladung des Speyerer Bischofs und Domkapitels gefolgt.

Begrüßt wurde er zusammen mit den zahlreichen Mitfeiernden von Generalvikar Markus Magin, der die abendliche Andacht liturgisch leitete. Magin erklärte zu Beginn den Grundgedanken der Fastenpredigten. Sie seien eine Einladung, "den Puls des eigenen Lebens zu spüren, um Christus näher zu kommen, der das Leben selbst ist".
Peter Müller erläuterte zunächst den Ausgangspunkt seiner Predigt: "Zusammenfinden" lautet das Motto, das den Fastenpredigern in diesem Jahr als Überschrift gegeben wurde. "Dass es des Zusammenfindens bedarf, damit wir gut zusammenleben können, wird in den Worten der biblischen Lesung deutlich", sagte Müller und zitierte deren Schlusssatz "Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm." (1. Kor 12, 27). "Zusammenfinden, zusammenwirken, zusammenhalten ist eine Gelingensbedingung für religiöse, soziale und gesellschaftliche Gemeinschaften", sagte Müller.
Das Motto "Zusammenfinden" nimmt Bezug auf den Satz "Ut unum sint – dass sie eins seien", der über dem Hauptportal des Doms geschrieben steht und ein Zitat aus dem hohenpriesterlichen Gebet Jesu darstellt, erläuterte Müller. Diese Worte mahnten auch über den Kreis der Gläubigen hinaus. Entgegen der Hoffnung auf einen Siegeszug der Freiheit und der Demokratie, wie sie nach dem Ende des Kalten Krieges bestand, lebten wir in einer Zeit, die zunehmend von Konflikten und Auseinandersetzungen geprägt sei. In Deutschland gebe es im Zeichen der aktuellen Krisen – Klima, Migration, Demographie, Staatsverschuldung – eine Abnahme der Kompromissfähigkeit und einem Vertrauensverlust in die Demokratie, stellte Peter Müller in seiner Predigt fest.
Angesichts der Delegitimierungsversuche radikaler Kräfte stellte er die Frage, wie der Weg hin zu einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes aussehen könnte. Für den ehemaligen Verfassungsrichter führt dieser Weg hin zu einer Erinnerung an das Wertesystem, auf der unsere Gesellschaft gründet. Dieses sei im Grundgesetz enthalten, das in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert. Dort würden diese Werte jedoch nicht geschaffen, sondern lediglich aufgenommen. Grundlage für diesen Artikel ist, aus der Sicht Müllers, das christliche Menschenbild der Väter und Mütter des Grundgesetzes.
Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus stelle das Grundgesetz nicht den "Volkskörper", sondern den Wert des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. So sei von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes bewusst die Unantastbarkeit und der Schutz der Würde des Menschen an den Beginn der Verfassung gestellt worden, so wie dies in Artikel 1 formuliert ist. Grundlage für diesen Artikel ist, aus Sicht Müllers, das christliche Menschenbild. Die Menschenwürde sei dabei in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen begründet. Und da Gott dem Menschen diese Würde verliehen habe, könne niemand anderes sie ihm nehmen. "Wenn alle Menschen die gleiche Würde haben, dann ist kein Raum für eine Klassifizierung deutscher Staatsbürger", stellte Müller fest. Damit erteilte er der "Unterscheidung zwischen Biodeutschen und Passdeutschen" eine Absage. "Remigration missachtet die Unantastbarkeit des Menschen und ist mit einem christlichen Menschenbild nicht vereinbar", stellte er fest. Dies hätten auch die deutschen Bischöfe in ihrer vor wenigen Tagen abgegebenen Erklärung klargestellt. Obgleich sie für eine vermeintliche Einmischung in die Frage nach der Parteipräferenz hart kritisiert worden seien, lobte Müller diese klare Stellungnahme der Bischofskonferenz, die sich nicht gegen Parteien, sondern gegen rassistische und antisemitische Ressentiments richte. Und auch wenn Kritik an israelischer Politik beispielsweise in Bedrohung jüdischer Studenten münde, dass sei dies "mit den zentralen Vorgaben unserer Verfassungsordnung nicht vereinbar".
Der Artikel 1 des Grundgesetzes fordere nicht nur die Achtung, sondern auch den Schutz der Würde des Menschen. Dies gelte auch für die Würde des ungeborenen Lebens, sagte Müller. In der Konfliktsituation zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und dem Lebensrecht des Kindes sei hart gerungen und ein tragfähiger Kompromiss gefunden worden, der nun unter dem Stichwort der Entkriminalisierung "noch einmal neu in Frage gestellt werde", so Müller. Eine spaltende Debatte sei auch an dieser Stelle nicht sinnvoll, wenn in so vielen Feldern ein Zusammenfinden erst noch neu erreicht werden müsse.
",Ut unum sint‘ wird immer schwieriger und ist doch notwendig für eine gute Zukunft und ein gedeihliches Zusammenleben", lautete Müllers Fazit: "Ein gutes Zusammenleben wird nur gelingen, wenn wir uns auf unser Wertefundament besinnen". Die Menschenwürde, wie sie sich aus dem christlichen Menschenbild ergebe, sei darin ein zentraler Baustein und habe zentrale Orientierungsfunktion. Konflikte seien unter der Missachtung der Würde des oder der Einzelnen nicht zu lösen. Daher gelte es darauf zu achten, "dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde immer und ausnahmslos Grundlage all unseres Handelns ist", schloss Müller seine Predigt.
Generalvikar Magin dankte für Müllers Worte, "die am Puls der Zeit sind und Richtung und Orientierung geben können". Domorganist Markus Eichenlaub gestaltete die Andacht musikalisch mit Orgelwerken von Johann Sebastian Bach.
Die nächste Fastenpredigt folgt am Donnerstag, 7. März, 19:30 Uhr. Dann wird ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten sich an die Menschen im Dom und an verschiedenen elektronischen Endgeräten richten. Auch diese Predigt wird live auf den Social Media Kanälen von Dom und Bistum übertragen. (Foto: Domkapitel Speyer)