Der 66-jährige Rudi Götz übernimmt die neugeschaffene Projektstelle für ökumenische Notfallseelsorge in Großschadenslagen. Das Bistum Speyer und die Evangelische Kirche der Pfalz leisten damit einen wichtigen Beitrag zur psychosozialen Notfallversorgung. Götz blickt zurück auf 40 Jahre Tätigkeit bei der Berufsfeuerwehr in Mannheim als Einsatzbeamter.

Er bringt zudem langjährige Erfahrung in der Arbeit bei der freiwilligen Feuerwehr sowie eine Ausbildung zum Notfallseelsorger in seine neue Aufgabe mit. Die Projektstelle ist für zwei Jahre als halbe Stelle angelegt.
Im Interview erzählt er, gemeinsam mit den beiden Beauftragten für Notfallseelsorge Matthias Orth (Bistum Speyer) und Norman Roth (Evangelische Kirche der Pfalz), von seinen neuen Aufgaben und Wünschen.

Was sind Großschadenslagen?
Rudi Götz: Verkehrsunfälle, erfolglose Reanimationen oder Suizide, das sind alles Einzelfälle. Aber was passiert, wenn Hunderte oder Tausende betroffen sind, die zu versorgen und zu betreuen sind? Genau das sind Großschadenslagen. Sie zeichnen sich durch eine große Menge an Betroffenen und eine Mangelsituation aus. Es sind große Ereignisse, die ganz unterschiedlich sein können, wie zum Beispiel Naturgefahren, Explosionen, Großbrände oder auch Unfälle mit Bussen oder Schiffen. Das Kennzeichen für Großschadenslagen ist, dass es zu Beginn eine Chaosphase gibt, in der alles geordnet werden muss, und in diese Ordnung spielt auch die Notfallseelsorge mit rein.
Norman Roth: Großschadenslagen sind Ereignisse, die eine solche Dimension haben, dass Kräfte vom Katastrophenschutz hinzugezogen werden, da die Regelkräfte von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst nicht mehr ausreichen. Und genau hier docken wir mit der Notfallseelsorge an und sagen, wir sind da, um uns um die seelische Not der Menschen in dieser Situation bewusst zu kümmern, neben dem, was andere Einsatzkräfte leisten. In einer solchen Situation wirkt die Notfallseelsorge direkt im Katastrophenschutz mit. Unsere Notfallseelsorger kümmern sich aber nicht nur um Zeugen und unmittelbar Betroffene, sondern wir sind auch für die nahen Angehörigen von Betroffenen sowie für Menschen, die Erste Hilfe geleistet haben, vor Ort zuständig.

Warum ist es wichtig, Großschadenslagen jetzt genauer in den Blick zu nehmen?
Rudi Götz: Wenn Sie die Menschen im Ahrtal vor dem 12. Juli 2021 gefragt hätten, ob sie sich vorstellen können, mit dem Helikopter von ihren Hausdächern gerettet zu werden, hätte das niemand geglaubt. Wir können bestimmte Risiken einschätzen, wie die durch Verkehrssituationen oder Naturgewalten. Aber auch da erleben wir gerade, dass vor allem Letztere immer mehr werden, dass sich solche Ereignisse innerhalb von wenigen Jahren wiederholen, auch hier in der Gegend. Ein Beispiel war erst vor wenigen Wochen, das Hochwasser in der Südwestpfalz. Die Ereignisse kommen immer schneller und sind in der Intensität immer stärker ausgeprägt.

Was sind die Aufgaben in der neuen Projektstelle?
Rudi Götz: Das Land Rheinland-Pfalz hat erkannt, dass es nicht gut aufgestellt ist. Gerade verändern sich Strukturen und Gesetze, und genau in dieser Situation versuchen wir als Vertreter der Kirchen, Veränderungsprozesse der Notfallseelsorge in Großschadenslagen zu integrieren. Jetzt wird das Eisen geschmiedet, jetzt müssen wir da sein und unsere Struktur und unsere Bedürfnisse in den Prozess einbringen. In meiner Arbeit geht es daher darum, Strukturen zu erstellen, um die einzelnen Teams im Bereich von Bistum und Landeskirche zu vernetzen. Über welches Medium schaffen wir es, alle Regionalteams im Einsatzfall sofort in Kenntnis zu setzen? Auch die Ausbildung von Führungskräften für die Einsätze fällt in meinen Bereich. Ich werde viele Gespräche mit ganz unterschiedlichen Akteuren und Behörden führen, um uns ein Netzwerk aufzubauen und Menschen zusammenzubringen. Ich kann nicht einfach ein Konzept schreiben und sagen, so machen wir jetzt in Zukunft Notfallseelsorge. Wir haben eine Unmenge an unterschiedlichen Stellen, die einzubinden sind. Es geht darum, Pläne vorzubereiten, die fertig in der Schublade liegen, egal was passiert. Alles, was Klärungsprozesse erfordert, muss möglichst vor der Situation erfolgen, damit es im Ernstfall ganz schnell gehen kann.

Wie wurde früher in der ökumenischen Notfallseelsorge mit Großschadenslagen umgegangen, bevor die Stelle geschaffen wurde?
Norman Roth: Wir hatten auch in den letzten Jahren größere Einsatzlagen. Und da ist es schon gelungen, dass die verschiedenen Teams zusammengearbeitet haben. Allerdings haben wir gemerkt, wenn die Lagen noch komplexer werden, dann brauchen wir einfach eine bessere Strukturierung. Durch die klimatischen Bedingungen sind in den letzten Jahren auch die Anforderungen gestiegen, denn man muss damit rechnen, dass es immer mehr Naturkatastrophen geben wird. Außerdem haben auch andere Einsatzlagen mit vielen Betroffenen in den letzten Jahren zugenommen, seien es Anschläge, Amokläufe, Unfälle oder Brände größeren Ausmaßes.
Matthias Orth: In die Gründung der Stelle haben auch die Erfahrungen aus dem Ahrtal eingewirkt. Wir konnten dort unseren Beitrag leisten, die Arbeit in den gemischten Teams hat Dank der ökumenisch gleichen Ausbildung auch gut geklappt. Aber wir haben im Nachhinein gemerkt, dass wir Verbesserungsbedarf an dieser Stelle haben.

Warum ist die Projektstelle ökumenisch angelegt, worin liegen hier die Vorteile?
Norman Roth: Auf lokaler und regionaler Ebene arbeiten unsere Notfallseelsorger schon viele Jahre ökumenisch zusammen. Die Ausbildung ist ökumenisch aufgestellt, ebenso wie die Fortbildungen. Und dann liegt es nahe zu sagen: Auch in Großschadensereignissen müssen wir unsere Kräfte bündeln und vernetzt zusammenarbeiten. Die fast deckungsgleichen Gebiete vereinfachen das natürlich auch.
Rudi Götz: Wenn die Notfallseelsorge-Teams zu einem Einsatz kommen, dann fragen sie nicht nach der Religionszugehörigkeit, sondern sie helfen einfach. Ich glaube, dass die beiden christlichen Kirchen hier vermitteln können, dass sie, wenn Menschen in Not sind, gefordert sind und auch da sein wollen. Wenn die Not groß ist, sind alle dankbar, wenn jemand da ist, der sich um sie kümmert. Ich glaube, es ist auch einfach grundsätzlich wichtig, dass die Kirche ihre Position in der psychosozialen Notfallversorgung stärkt. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Notfallseelsorge sind durch ihre christliche Haltung geprägt. Sie haben vielleicht auch nochmal einen besonderen Zugang zu den Betroffenen, und auch zu Verabschiedungsritualen oder der Betreuung von Menschen, wo keine Hoffnung mehr besteht. Wenn Menschen in Not sind, dann wollen wir als Kirche da sein.
Norman Roth: Die neu geschaffene Projektstelle ist bundesweit ein einmaliges ökumenisches Pilotprojekt. Schön, dass es bei uns in der Pfalz zwischen Bistum und Landeskirche so gut gelingt.

Was sind die Ziele für die nächsten 2 Jahre?
Matthias Orth: Es geht uns um die gedankliche Vorbereitung auf Großschadensereignisse. Wir wollen noch genauer wissen, wie wir auf Situationen größeren Ausmaßes reagieren können, auf wen wir zurückgreifen können, welche Strukturen wir haben. Dann können wir umsichtiger mit solchen Situationen umgehen.
Norman Roth: Wir haben unsere Erfahrungen aus dem Ahrtal gemeinsam mit den Seelsorgerinnen und Seelsorgern vor Ort nachbereitet, und Punkte definiert, die verbessert werden müssen – hier können wir hoffentlich in den nächsten zwei Jahren entsprechende Strukturen schaffen. Wir müssen uns gut vernetzen, damit wir handlungsfähig sind, trotz möglicher zurückgehender Ressourcen im kirchlichen Bereich.
Rudi Götz: Ich möchte erreichen, dass wir genug Teams haben, dass wir durchhaltefähig sind, dass die Teams miteinander arbeiten können und dass die Strukturen, Alarmierungseinrichtungen und Pläne geschaffen sind. Ich bin selbst gespannt, aber ich freue mich auch darauf.


Zum Hintergrund
Mit der neuen Projektstelle für ökumenische Notfallseelsorge in Großschadenslegen leisten die beiden christlichen Kirchen einen wichtigen Beitrag zur psychosozialen Notfallversorgung. In der Pfalz sind das Bistum Speyer und die Evangelische Kirche der Pfalz mit dem Fachbereich "Notfallseelsorge" der größte Anbieter. Eine Alarmierung der Teams erfolgt im Regelfall über die Leitstelle, das heißt, Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst fordern Unterstützung im Rahmen eines Einsatzes an. Rund 100 Notfallseelsorgerinnen und –seelsorger engagieren sich zur Zeit in sechs kirchlichen Notfallseelsorgeteams oder in einem PSNV (psychosoziale Notfallversorgung)-Team anderer Träger in der Pfalz. Im Jahr 2023 gab es etwa 470 Einsätze mit geschätzt 2800 Betroffenen, darunter tödliche Verkehrsunfälle, erfolglose Reanimationen oder Suizide.

Matthias Orth, Rudi Götz und Norman Roth (v.l.n.r.) erzählten im Interview von der neugeschaffenen Projektstelle für ökumenische Notfallseelsorge in Großschadenslagen © Bistum Speyer