In einem offenen Brief an Bildungsministerin Stefanie Hubig fordern rheinland-pfälzische und speyerer Schüler*innen- und Jugendvertretungen ein geregeltes Schulgeschehen und eine Impfstrategie, jeweils angepasst an das Infektionsgeschehen vor Ort. Auch erwarten sie eine zügige Digitalisierung im Bildungsbereich. "Sehr geehrte Frau Dr. Hubig,


stark steigende Inzidenzen bedrohen abermals das geregelte Schulgeschehen. Wie schon im letzten Jahr wird nun auf Landesebene wieder über Möglichkeiten debattiert, wie mit dieser problematischen Lage umgegangen werden soll. Dabei wird diejenige Gruppe, deren weiterer Lebenslauf in reiner bildungs-, aber auch karrieretechnischer Hinsicht von der jetzt anstehenden Reaktion abhängt, leider ignoriert. Deshalb wenden wir, ein Bund zahlreicher Schüler*innenvertretungen, uns an Sie, um die aktuellen Themen aus unserer Sicht zu bewerten. Dies möchten wir mit unseren persönlichen Erfahrungen untermauern.
Im Laufe der Pandemiebekämpfung in Rheinland-Pfalz haben wir bereits zahlreiche Unterrichtsmodelle erlebt. Einige davon haben uns geschützt und uns geholfen, andere waren weniger effektiv. Das größte Problem allerdings sind die zu häufig auftretenden Wechsel. Hat man sich an seiner Schule an ein System gewöhnt, wird per Anordnung ein neues Unterrichtsmodell eingesetzt. Gerade
jüngeren Mitschüler*innen schadet dieses Vorgehen in ihrer Lernleistung, ihrer sozialen Kompetenz und problematischerweise sogar in psychischer Hinsicht. Schulen sollte weiterhin bei der Wahl der Modelle (zum Beispiel ABBA, ABAB) die nahezu unbeschränkte Freiheit der Eigenverantwortung gegeben sein, analog zum örtlichen Infektionsgeschehen.
Aus diesem Grund sprechen wir uns für folgende Punkte aus: Fernunterricht sollte zwar vermieden werden, aufgrund aktueller Virusmutationen (B.1.1.7), die Kinder und Jugendliche stärker als zuvor betreffen, allerdings nicht um jeden Preis verhindert werden, wie es Ende des letzten Jahres leider der Fall war.
Der Einsatz von Fern-, Wechsel- und Präsenzunterricht sollte sich so stets nach dem jeweiligen örtlichen Infektionsgeschehen richten. Dabei muss jedoch im Vorhinein Klarheit bestehen, ab welchem Inzidenzwert welche Unterrichtsform eingesetzt wird. Sollte ein Wechsel von einem in ein anderes Modell notwendig sein, sollte es schulintern die Möglichkeit geben, von Jahrgang
zu Jahrgang zu differenzieren, um Jüngere in besonderem Maße, physisch wie psychisch, zu schützen. Des Weiteren sollten Lehrer*innen, die gerade jetzt ebenfalls am Maximum der Belastbarkeit sind und uns Schüler*innen trotzdem zur Seite stehen, in ihrer Arbeit unterstützt werden und dabei die Freiheit der eigenen Unterrichtsgestaltung gewährt bekommen. Auch die Einstellung weiterer Lehrkräfte auf Anfrage einzelner Schulen, statt der Kürzung von Unterrichtsstunden und der Zusammenlegung von Klassen, wäre hier eine weitere sinnvolle Möglichkeit der Unterstützung.Die erwähnte Freiheit der Unterrichtsgestaltung ist in ihrer Gesamtheit nur zu bewältigen, wenn Schulen die nötigen digitalen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der bürokratische Aufwand des Digitalpakts kann, in einer solchen Situation wie der aktuellen, nicht die Hürde für eine gezielte und effektive Digitalisierung der Schulen als Möglichkeit der Unterrichtsgestaltung darstellen.
Alle Schulen brauchen schnell eine möglichst breite Digitalisierungsoffensive. Zudem müssen Lehrer*innen direkt Zuschüsse erhalten, da sie in weiten Teilen selbst für ihre Ausstattung aufkommen mussten. Die bloße Anschaffung von Geräten ist hier dennoch nicht die Lösung. Ferner muss auch für externe Aus- und Weiterbildung der Lehrerschaft im Umgang mit technischen Gerätschaften durch professionelle Firmen, nicht nur Landesinstitute, gesorgt werden. Die Qualität des Unterrichts darf nicht von der finanziellen Lage und Selbstlosigkeit der Lehrkörper abhängen!
Die derzeitig gültigen Beschlüsse bezüglich einer freien Kursarbeitsplanung und Notengebung sind eine sehr gute Methode, um die besonderen Anforderungen der aktuellen Krise auszugleichen, weshalb wir an dieser Stelle von Ihrer Vorgehensweise überzeugt sind. Im Hinblick auf die Abiturprüfungen ist es allerdings von großer Wichtigkeit, jetzt möglichst Transparenz zu schaffen hinsichtlich einer eventuell ebenfalls angepassten Abitursituation, um auch hier den Ausgleich gewährleisten zu können. Letzterer
Punkt erfordert ganz im Speziellen den persönlichen Austausch zwischen Ihnen und uns.
Zurzeit wird oft von "weitgreifenden Lerndefiziten" gesprochen. Allerdings kann man derzeit nicht pauschal sagen, dass diese Aussage tatsächlich allgemeingültig ist. Dass individuelle Schwierigkeiten bestehen, ist aber wohl bekannt und richtig. Diese Problematik wird von einigen Schulen intern mit großem Erfolg bekämpft. Beispiele sind hierbei die Sommerschule und das Lerncoaching des Gymnasiums am Kaiserdom in Speyer. Die Organisator*innen solcher Unterstützungsangebote sollten über das Bildungsministerium mit anderen Schulen vernetzt werden, um ihre Konzepte und Erfahrungen zu teilen.
In diesen bewährten Konzepten steht die individuelle Förderung im Mittelpunkt und könnte somit zur Lösung des genannten Problems beitragen. Durch individuelle Hilfe würde ebenfalls die Sommerferienkürzung, die vielen Schüler*innen nicht einen positiven Lerneffekt, sondern unsinnige Strapazen bescheren würde, verhindert werden.
Eine Teststrategie an Schulen befürworten wir sehr. Um das Risiko möglichst zu minimieren, erscheint uns statt eines Tests pro Woche, die Anhebung auf zwei als sinnvoll; nach Einführung in die Anwendung sollten diese Tests zu Hause durchgeführt werden. Dadurch würde erneut das Risiko einer weiteren Infektionsverbreitung gesenkt und zudem die gerade jetzt wertvolle Unterrichtszeit gespart.
Sehr geehrte Frau Ministerin, mit dieser Beurteilung aus unserer Lage und Sicht heraus möchten wir mit Ihnen gemeinsam das Ziel eines sichereren und effektiveren Schulalltages erreichen. Wir richten uns an Sie in der Sorge um unsere Zukunft, aber in der Hoffnung auf eine enge Zusammenarbeit.
Mit freundlichen GrüßenJonas Ullrich Linus Venzke Timo Martens
Stadt-SV SV des Gymnasiums am Kaiserdom SV des Friedrich-Magnus-Schwerd Gymnasiums Speyer
Im Namen folgender Schüler*innen- und Jugendvertretungen:
SV des Gymnasiums am Kaiserdom Speyer
SV des Hans-Purrmann-Gymnasiums Speyer
SV des Friedrich-Magnus-Schwerd-Gymnasiums
SV des Nikolaus-von-Weis-Gymnasiums Speyer"