20 Jahre Jugendmaßregelvollzug in Deutschland – mit einem Fachsymposium beleuchtete die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Pfalzklinikums die Entwicklung und Perspektiven eines noch jungen spezialisierten Felds in der Behandlung von jugendlichen Straftäter*innen mit psychischen Erkrankungen.
Früher ansetzen, mehr Handlungsspielräume schaffen und die Akteur*innen aus Jugendhilfe, Polizei und Kinder- und Jugendpsychiatrie stärker vernetzen – das waren nur einige der Erkenntnisse, die Referierende und Teilnehmende in ihr Fazit am Ende der Tagung einschlossen.
Mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland und den Nachbarländern waren der Einladung gefolgt und füllten die Klingbachhalle in Klingenmünster bis zur letzten Stuhlreihe. Expert*innen aus Praxis und Wissenschaft gaben Einblicke in aktuelle Standards, neue Ansätze und Studien. Patientinnen und Patienten erzählten offen – in Videos und auf der Bühne – was ihnen geholfen hätte, um nicht straffällig zu werden, wie sie die Therapie stabilisiert hat und was sie heute stützt.
Von der Erwachsenen-Forensik zum Jugendmaßregelvollzug
Die Gründung eines bundesweiten Arbeitskreises 2003 war die Geburtsstunde des Jugendmaßregelvollzugs in Deutschland mit speziellen Einrichtungen. Bis dahin seien jugendliche Straftäter*innen mit psychischen oder Suchterkrankungen in Maßregelvollzugskliniken für Erwachsene untergebracht worden. Das machte der Leitende Arzt der Abteilung Jugendmaßregelvollzug im Pfalzklinikum, Dr. Wolfgang Weissbeck, deutlich. Erste Konzepte entwickelten sich bereits in den 1990er Jahren aus der Erkenntnis, dass Jugendliche andere rechtliche und entwicklungspsychologische Voraussetzungen haben und deshalb eine spezielle altersgerechte Behandlung unter Gleichaltrigen benötigen. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) habe bislang in dieser Entwicklung zu einer altersgerechteren Versorgung delinquenter psychisch kranker Jugendlicher nicht Schritt gehalten, erläuterte der Jurist Dr. Alexander Baur.
Welche Standards der Behandlung zwischenzeitlich entwickelt wurden und wie jugendgerechte Betreuung in der Praxis aussieht, beschrieben Dr. Bettina Hackenbroch-Hicke, Chefärztin, und Kerstin Wollny, Funktionsbereichsleiterin Pflege an der Karl-Jaspers-Klinik Bad Zwischenahn. Dazu gehörten nicht nur ein altersgerechter Wohnraum und eine zugewandte Atmosphäre. Jugendliche müssten gemeinsam Erlebnisse schaffen, Freizeit gestalten, aktiv und kreativ sein können, um Reife und Moral zu entwickeln. Selbstorganisiertes Kochen in der Gruppe trainiere sie darin, sich abzusprechen, Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Dies erfordere eine therapeutische Betreuung – anders im Erwachsenen-MRV – auch in den Abendstunden sowie eine entsprechende Personalausstattung.
In den Niederlanden arbeite man unter anderem mit Genesungsbegleiter*innen zusammen und wende neue Technologien wie Virtual Reality beim Gefühls- und Verhaltenstraining angewandt, berichtete Cyril Boonmann (PhD) von der Uniklinik Leiden.
Ansätze zur Prävention von Straftaten
Eine Studie von Prof. Dr. Marc Allroggen, leitender Oberarzt am Uniklinikum Ulm, und Dr. Steffen Barra, Psychologe an der Universität des Saarlandes kam zu der Erkenntnis, dass es in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Versorgung und Begutachtung neue Standards brauche, um mit einer möglichen Straffälligkeit von jungen Menschen angemessen umzugehen bzw. sie von vornherein zu verhindern. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz war die forensische Ambulanz für Jugendliche, die Dr. Angela Wenzel in Kiel für das Zentrum für Integrative Psychiatrie in Kiel aufgebaut hatte. Ziel der Einrichtung war es, Straftaten und Haft zu vermeiden, indem früh Risikoeinschätzungen getroffen werden.
Die Frage, wie man verhindern könne, dass Kinder und Jugendliche überhaupt straffällig werden, war auch Thema der abschließenden Podiumsdiskussion mit verschiedenen Expert*innen aus Kinder- und Jugendpsychiatrie, Recht, Justiz, Pädagogik und Landeseinrichtungen. Jugendliche des JMRV des Pfalzklinikums und bereits entlassene junge Menschen erzählten in Videos, was ihnen rückblickend geholfen hätte – konstante Bezugspersonen, Regeln, Tagesstruktur, Zuwendung und Fürsorge. Die Runde war sich einig: Es brauche mehr spezialisiertes Personal, Engagement in der Prävention – zum Beispiel durch Familienlots*innen und frühes Ansetzen in Kindergärten und Schulen -, sowie stärkere Vernetzung von Behörden und Akteur*innen bei der Betreuung von Risikofamilien.