Von Klaus Stein
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten findet am heutigen 9. November in Speyer wegen der Corona-Pandemie keine Gedenkveranstaltung an die Pogrome der Nazis im Jahr 1938 statt. Die Machthaber sprachen damals zynisch von "Reichskristallnacht", da die Straßen übersät waren mit Glassplittern zerstörter Fenster von Wohnungen und Schaufenstern von Geschäften, die jüdischen Mitbürger*innen gehörten.

Ein von der NS-Führung gesteuerter Mob, allen voran die SA, leitete damit die systematische Vernichtung der Juden ein. Bereits nach der Machtübernahme 1933 wurden Andersdenkende, Minderheiten und die Juden drangsaliert und schikaniert.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November brannten viele Synagogen, auch die in Speyer wurde ein Opfer der Flammen.
Neben einem Mahnmal erinnern "Stolpersteine" an der Schicksal der Speyerer jüdischen Familien.
Haben wir bald Zustände wie in Weimar? Diese Frage stellte heute ein Onlineportal. Ich meine, solche Zustände, als sich politische Extremisten in Straßenschlachten bekämpften, haben wir nicht.
Was wir seit vielen Jahren sehen können ist eine Enttabuisierung faschistischen Gedankenguts: "Man wird doch mal was sagen dürfen...". Ungestraft dürfen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Parolen propagiert werden.
Aufgehetzt durch geistige Brandstifter - auch aus Reihen der im Bundestag, zahlreichen Landesparlamenten und Stadträten vertretenen AfD - fühlen sich Personen offensichtlich animiert, Mordanschläge zu begehen, wie das Beispiel Hanau zeigt.
Die Mittel sind die gleichen wie zur NS-Zeit: Da wird von Überlegenheit der "Deutschen Rasse" gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe gefaselt. Auch Menschen ihre Menschlichkeit abzusprechen, wie das die Sklavenhalter des 17. und 18. Jahrhunderts taten, um ihre Sklaverei zu rechtfertigen, funktioniert heute noch. So hat das Speyerer Stadtratsmitglied Matthias Schneider in seinem Internetblog Gegendemonstranten mit "Bewohner im Affengehege der Stuttgarter Wilhelma..." gleichgesetzt, sie Wissenschaftlern als "Untersuchungsobjekte" empfohlen, "an denen man schwere, irreversible, seelische Defekte, in multimorbider Interaktion mit fortgeschrittenem Hirnfraß, erforschen könnte."
Medienschaffende, die über die Machenschaften der Rechten berichten, werden zunehmend bedroht oder mit juristischen Mitteln einzuschüchtern versucht.
Und trotzdem: die Bundesrepublik ist nicht Weimar!