Nachdem sich am 13. November eine Bürgerinitiative (BI) gegründet hatte, der inzwischen etwa 50 Personen und Organisationen angehören, wurde bei einer zweiten Versammlung am Mittwoch, 20. November, ein Name beschlossen: "Bürgerinitiative (BI) Rettet den Industriehof" mit dem Untertitel "Für unsere Speyerer Handwerker, Kleingewerbe und Kulturschaffenden". In einem Mediengespräch erläuterten Vertreter der BI, welche Ziele verfolgt werden und wie die weitere Vorgehensweise ist.
Anhand einer mehrseitigen Stellungnahme zum Industriehof wird der Sachverhalt aus Sicht der BI anschaulich dargestellt (siehe Anhang).
"Wir wollen erreichen, dass das derzeitige "Milieu" im Industriehof erhalten wird, wie es der Stadtrat im vergangenen Jahr beschlossen hat", so Karlheinz Erny. Das sehe man durch das geplante "Urbane Gebiet", das von BI-Mitgliedern als "Trojanisches Pferd" bezeichnet wurde, massiv gefährdet. Die neuen Besitzer hätten nach deren eigenen Aussagen andere Vorstellungen, welches Gewerbe zukünftig dort angesiedelt sein sollte, nämlich eine "Gourmetmeile" und Ähnliches.
Das passe auch besser zur geplanten, teilweise hochpreisigen, Bebauung mit Lofts. Zwar sei auch von einer Sozialquote die Rede, aber um den hohen Kaufpreis zu rechtfertigen, müsse ebenso Exklusives dort entstehen, wie von Investorenseite zurecht argumentiert werde. Auch die Argumentation, dass bei einem urbanen Gebiet größerer Lärm zulässig sei, nannte Erny eine Augenwischerei, denn in Fachkommentaren werde das angezweifelt, da die gleichen Messmethoden und Emissionsgrenzen gelten würden. Bei anderen Emissionen seien sogar schlechtere Werte gültig.
Bei einer Vorfestlegung auf ein urbanes Gebiet hätten die Investoren einklagbare Rechte, wodurch die Stadt ihre derzeit günstige Verhandlungsposition einbüße. "Wir können uns durchaus auf einem Teil des über 100.000 Quadratmeter großen Areals, das zur Debatte steht, ein urbanes Gebiet vorstellen, aber wir erwarten konkrete Aussagen der Stadtplanung, wie und wo das sein könnte, ohne dass die befürchteten Zielkonflikte mit dem bestehenden Gewerbe eintreten", so Erny.
"Ich befürchte, dass dort ein weiteres hochpreisiges Wohngebiet entsteht wie auf dem benachbarten Erlus-Areal", so der Speyerer DGB-Vorsitzende Axel Elfert. Da passten Autoschrauber und so mancher Handwerksbetrieb, aber auch probende Musikgruppen, nicht ins Konzept. Er sei enttäuscht von Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler (SPD), die im Wahlkampf ebenso wie ihre Partei versprochen habe, dass die Stadt wieder die Planungshoheit haben müsse und nicht die Investoren. Aber anstatt durch die Stadtplanung Konzepte vorzulegen seien es wieder die Investoren, deren Vorstellungen - die werden Architekten beauftragen - die Entscheidungsgrundlage sein sollen.
Auf Seiten der am Mittwoch zahlreich anwesenden Mieter gebe es die Befürchtung, dass sie bei der geplanten hochpreisigen und stark verdichteten Wohnbebauung auf mittlere Sicht auf der Strecke bleiben, da es für Gerwerbemieter keinen sozialen Schutz gibt wie bei Wohnmietern. Dass ein wesentlicher Punkt zum Verhältnis Wohnen/Gewerbe beim Urbanen Gebiet in der Beschlussvorlage der Verwaltung verschwiegen wurde, sahen die meisten BI-Mitglieder als Verschleierungsabsicht an.
Die BI vermisst auch ein Verkehrskonzept in der eh schon hochbelasteten Hafen/Franz-Kirrmeier-Straße. Zudem müsse das Thema der dort vergrabenen und nicht unproblematischen industriellen Altlasten auf den Tisch. Vor vielen Jahren habe es eine heftige Diskussion darüber gegeben, die sei aber, wohl auf Rücksicht auf die Vorbesitzer "Kirrmeier Erben", sang und klanglos versandet, meinte Georg Memmel.
Nicht zuletzt müsse der Denkmalstatus geklärt werden. Barbara Ritter vom hoch renommierten Verein "Rhein-Neckar Industriekultur" bezeichnet den Industriehof, eine ehemalige Zelluloidfabrik, als europaweit bedeutsames Zeugnis der Industriegeschichte. Sie sei regelrecht entsetzt von dem, was gerade durchgezogen werden soll, meinte Erny.
Infos unter https://www.rhein-neckar-industriekultur.de/objekte/ehem-celluloidfabrik-heute-industriehof-speyer (ks/Foto: ks)
STELLUNGNAHME DER BÜRGERINITIATIVE (BI)
VORBEMERKUNG:
Im Juli vergangenen Jahres (unmittelbar vor den OB-Wahlen) hat der Stadtrat Speyer eine Veränderungssperre für den Industriehof mit gleichzeitigem Beschluss, das Gebiet als Gewerbegebiet auszuweisen, mit großer Mehrheit beschlossen. Dies wurde auch in der Öffentlichkeit vielfach diskutiert und allgemein - auch von überörtlichen Organisationen - begrüßt.
Nunmehr wurde im Bauausschuss eine neue Vorlage vorgestellt, die das ursprünglich beabsichtigte Gewerbegebiet als "URBANES GEBIET" ausweisen soll, die Entscheidung hierüber im Stadtrat wurde zunächst vertagt, soll jedoch im Dezember neu zur Abstimmung gestellt werden.
Seitens der Bürgerinitiative bestehen hierzu erhebliche Bedenken. Wir bitten daher die Rats-und Ausschussmitglieder diese Entscheidung zu überdenken.
GRÜNDE IM EINZELNEN:
1.) Die Ausweisung als Urbanes Gebiet würde die bestehenden Gewebebetriebe in ihrer einzigartigen Existenz erheblich gefährden und überwiegend ausschließen. Neuansiedlungen könnten nur noch im Rahmen der Nutzung eines "Urbanen Gebietes" zugelassen werden. Der nutzungsspezifische Gebietscharakter würde sich dadurch erheblich ändern. Und dies bei einem gleichzeitig von der Verwaltung Speyer festgestellten erheblichen Fehlbedarfs an Gewerbeflächen in Speyer! Entwicklungspotenziale für Gewerbebetriebe sind gefährdet, die bestehenden Arbeitsplätze sind gefährdet und neue Arbeitsplätze können nicht geschaffen werden.
2.) Warum die Aussagen in Punkt 1 ?
Die Ausweisung des Gebietes als Urbanes Gebiet lässt auch in diesem Gebietstyp zunächst baurechtlich Gewerbebetriebe zu. Und diese können in diesem Gebiet sogar unterschiedlichen Ebenen und unterschiedlichen Bereichen jeweils getrennt und jeweils unterschiedlich intensiv zugewiesen werden.
Also die eierlegende Wollmilchsau?
Leider mitnichten!
Vorrang hat in diesem Gebietstyp die Wohnnutzung. Nur für Das Wohnen nicht erheblich störende Gewerbetriebe sind hier nämlich nach § 6a der Baunutzungsverordnung tatsächlich zulässig! Damit scheidet aber bereits ein erheblicher Teil der bestehenden Betriebe nutzungsrechtlich aus und entsprechende Neuansiedlungen wären zukünftig baurechtlich auch nicht mehr zulässig. Damit wäre der intensiv diskutierte Stadtratsbeschluss des vergangenen Jahres entscheidend ausgehöhlt und ins Gegenteil der ursprünglichen Absicht verkehrt.
3.) Der Begriff "nicht erheblich störende Gewerbebetriebe" ist dabei rechtlich klar umrissen und unterliegt nicht der Entscheidung der Baubehörde. Es gibt eine Vielzahl von Gewerbebetrieben, auf die dies auf Grund der tatsächlichen bzw. zu erwartenden Emissionen gerade nicht zutrifft.
Das Urbane Gebiet lässt allerdings unter den möglichen Emissionen speziell für den Lärm eine höhere Belastung der Wohnbereiche zu. Für die anderen Emissionen nicht.
In der einschlägigen Literatur wird allerdings bestritten/bzw. erhebliche Zweifel ausgedrückt, dass diese höhere mögliche Lärmbelastung in der Praxis tatsächlich wirksam wird, da nach wie vor die bestehende Praxis der Lärmmessung gilt und daher keine höhere zulässige Lärm-Werte zu erwarten sind.
Dies bedeutet naturgemäß das "AUS" für zahlreiche Gewerbebetriebe.
2.) Die Ausweisung des Gebietes als urbanes Gebiet bedeutet zudem eine extrem hohe Verdichtungsmöglichkeit des Gesamtareals (GFZ bis 3.0, d. h. dass die erzielbare Fläche der Bebauung das 3-fache der vorhandenen Grundstücksfläche sein kann. Im Vergleich hierzu: im Mischgebiet oder Wohngebiet ist lediglich eine GFZ von 1.2 zulässig, im Gewerbegebiet oder Industriegebiet lediglich eine GFZ von 2,4. Nur das Kerngebiet – Innenstädte – darf ebenfalls eine GFZ von 3,0 aufweisen). Das kann wohl sicherlich nicht gewollt sein. Die jetzige bauliche Struktur würde nachhaltig gestört werden. Diese Ausnutzung kann zwar planungsrechtlich reduziert werden, hierfür fehlen jedoch bisher jegliche Vorgaben durch die Stadtplanung. Eine Planung durch 3 vom Investor beauftragten Architekturbüros, wie dies in der Vorlage für den Stadtrat vorgeschlagen wird, kann diese Grundaufgabe der Stadtplanung –einschl. Diskussion der möglichen Handlungsvarianten in den entsprechenden politischen Gremien - nicht ersetzen. Vielmehr ist hier zu befürchten, dass dann den Vorschlägen des angeblichen, sogenannten "Wettbewerbs" in der Bebauungsplanfassung weitgehend gefolgt wird. Ansonsten macht diese Regelung ja auch gar keinen Sinn. Das Pferd ist sprichwörtlich: "von hinten aufgezäumt".
4. Es handelt es sich um ein sehr großes Areal, praktisch einen neuen Stadtteil, für den noch immer (nach nunmehr ca. 1 Jahr) keine ausreichenden Vorgaben erstellt und diskutiert wurden. Zumindest keine von der Stadtplanung erarbeiteten städtebaulichen Grundkonzepte, Verkehrskonzepte, Sanierungskonzepte der durch Schadstoffe belasteten Flächen usw., die auch in den Gremien ausreichend diskutiert sind. Und dies, obwohl bei einer Veränderungssperre, die für dieses Gebiet beschlossen wurde, ein entsprechender Bebauungsplan in ca. 2 Jahren vorzulegen ist.
5.) Nicht ohne Hintergrund wird vom Investor von einer Gourmet-Meile (was dies für die ortsansässige Gastronomie bedeuten würde, kann man sich ausmalen), und von Wohn-Lofts gesprochen. Gastronomie /Verwaltung/Wohnen wäre natürlich in einem Urbanen Gebiet zulässig! Viele Gewerbebetriebe nicht mehr.
6.) Es wird davon gesprochen, dass in diesem Gebiet – Gewerbegebiet – auch schon zur Zeit ca. 30 Wohnungen vorhanden sind. Diese sind natürlich auch in einem Gewerbegebiet gem. Gesetz zulässig: Betriebsinhaber/Hausmeister/Beschäftigte etc. Dabei sind 30 Wohneinheiten sogar verschwindend wenig für ein solch großes Areal, der Prozentsatz im Promille-Bereich. (es sei z.B. daran erinnert dass im Gewerbebereich am Wartturm dieser Prozentsatz deutlich über 50% liegen dürfte).
7.) Die Verwaltungs-Vorlage für die zunächst verschobene Stadtratssitzung war nicht korrekt formuliert und hat den entscheidenden § 6a der Baunutzungsverordnung nur teilweise wiedergegeben: es fehlte schlichtweg der Passus, dass nämlich im Urbanen Gebiet nur noch für das Wohnen nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe zulässig sind. Dies ist aber entscheidend! Zufall? Ein Rats-oder Ausschussmitglied konnte daher auch gar keine sachgerechte Entscheidung treffen. Für eine solche wird er jedoch später politisch Rechenschaft ablegen müssen.
8. Dass es sich bei diesem Gebiet um schwierige planerische Festlegungen handeln wird ist unbestritten.
Dass hier ein hoher Investitionsbedarf ansteht, dürfte ebenso unbestritten sein, wie die Tatsache, dass hier ein Gebiet von einem Eigentümer/Voreigentümer - vielleicht wegen kurzfristiger Profitchancen – heruntergewirtschaftet wurde. Dies kann jedoch nunmehr kein städtebaulicher Grund sein, die Flächen sowohl von der Nutzung als auch der
Nutzungsdichte hochgewinnbringend an den Markt zu bringen. Es geht hier auch ganz und gar nicht um Investorenschelte. Es geht um eine sachgerechte Stadtplanung.
Die Planungshoheit der Stadt hat hier Vorrang. Das vorgesehene Verfahren zeugt jedoch vom Gegenteil.
AUSBLICK:
Politisch wurde in der Stadtratssitzung vor den OB-Wahlen eindeutig und nahezu einstimmig beschlossen, den Industriehof in seinem jetzigen Charakter und seiner jetzigen Nutzung zu erhalten. Gerade das soll aber nunmehr unterlaufen werden.
Es kann durchaus sein, dass für Teilbereiche dieses großen Areals die Ausweisung eines Urbanen Gebietes sinnvoll ist. Es war jedoch auch nach eingehender öffentlicher Diskussion vor den Wahlen der bauliche (Denkmalschutz) als auch der strukturelle Erhalt (Gewerbe) des Gebietes mehrheitlich beschlossen und politisch versichert worden.
Handlungsvarianten wurden offensichtlich von der Stadtplanung bisher nicht aufgezeigt, damit fehlen entscheidende Grundlagen! Die Erarbeitung solcher ist aber ureigene Aufgabe einer Stadtplanung.
Eine Mischung unterschiedlicher Gebietsausweisungen Gewerbe-/Misch-/Urbanes Gebiet könnte durchaus sinnvoll sein, entsprechende Alternativen wären vorzulegen.
Dass – neben dringend benötigten Gewerbegebieten – auch Wohnraum fehlt, ist unbestritten. Was fehlt ist insbesondere kostengünstiger Wohnraum. Dieser wird allerdings durch die globale Ausweisung des Gebietes als Urbanes Gebiet wohl gerade nicht geschaffen! Gewerbe wird verhindert! Bei einer gestaffelten Ausweisung könnte jedoch zweifelsfrei neben Gewerbebetrieben auch kostengünstiger Wohnraum geschaffen werden.
Hochpreisiger Wohnraum neben einem Bereich mit der ursprünglich beschlossenen Ausweisung als Gewerbegebiet verhindert sich quasi automatisch! Entsprechende Handlungskonzepte sind von der Verwaltung zu entwickeln und in den Gremien zu diskutieren.