Von Michael Stephan
"Wir waren den Sommer in Tölz, dessen Luft uns so wohltat, dass wir uns dort angekauft haben und uns ein Häuschen mit Blick auf den Ort, die Isar und das Gebirge bauen lassen", so Thomas Mann an Philipp Witkop am 1. November 1908. Thomas Mann, geboren am 6. Juni 1875, stammte aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Lübeck.
1904 heiratete er die Professorentochter Katja Pringsheim aus München; kurz danach kamen die beiden ersten Kinder, Erika und Klaus, zur Welt.
Das von ihm liebevoll als "Herrensitzchen" bezeichnete villenartige Gebäude am Hintersberg entsprach dem Repräsentationsbedürfnis des seit seinem Debütroman "Buddenbrooks" (1901) bekannten
Schriftstellers. Zu Thomas Manns Lebzeiten lag die Villa weit außerhalb des Ortes, man konnte von der Veranda nicht nur die Alpen, sondern auch die Isar, die Altstadt und den Klammerweiher sehen. In der Tölzer Zeit kamen noch zwei weitere seiner insgesamt sechs Kinder, Golo und Monika, zur Welt. Es muss eine schöne Zeit gewesen sein, bedeutende Werke – Königliche Hoheit, Der Zauberberg, Tod in Venedig oder Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull – wurden hier begonnen oder sogar beendet. Doch der erste Weltkrieg brachte die Manns auch in Kontakt mit Hungersnot und Bettelei, wie Golo Mann in seinen Erinnerungen schreibt. Nachdem die Familie 1916 in München ihr Haus bezogen hatte, stand das Landhaus in Bad Tölz zum Verkauf. Zur Zeit des Nationalsozialismus
emigrierte die Familie zuerst nach Frankreich, dann in die Schweiz und 1938 in die USA. Doch nach Ende des Zweiten Weltkriegs zog es den Literaturnobelpreisträger von 1929 wieder nach Europa. Die Familie ließ sich in Kilchberg am Zürichsee nieder, wo Thomas Mann am 12. August 1955 starb.
Die Tölzer Zeit ist maßgebliche Grundlage für Sentenzen in mehreren Romanen und Novellen wie die Villa selbst, die sich in Gustav von Aschenbachs Landhaus im "Tod von Venedig" spiegelt. In seinem zentralen Kapitel im "Zauberberg" gerät Hauptfigur Hans Castorp in einen Schneesturm. Die geschilderten Schneemassen hatte Mann nachweislich erst in Bad Tölz kennengelernt. In "Doktor F
austus" kommt ein "Klammerweiher" und in "Königliche Hoheit" ein Bürgergarten vor.
Heute bleiben die Türen des einstigen Sommerhauses von Thomas Mann in Bad Tölz für die Öffentlichkeit normalerweise verschlossen. Das Haus ist seit 1926 im Besitz des Ordens der Armen Schulschwestern und diese nutzen das Haus als Erholungsheim. Es gehört offiziell zum benachbarten St. Josefsheim, einem Altersruhesitz für aktuell 28 Arme Schulschwestern. Aber mit einer "Sondergenehmigung" durfte ich das weitläufige Gartengelände inspizieren und die Villa von außen umrunden. Die Oberin der Armen Schulschwestern, Schwester Gudrun, gab dazu noch einige Hinweise auf frühere Zeiten.
Heute kann man auf dem "Thomas Mann Weg" acht Stationen mit Zitaten von Thomas in ca. zwei Stunden Gehzeit erleben. Auf insgesamt acht buchartigen Stelen erhalten Sie weitergehende Informationen. Die Stationen sind im einzelnen:
Thomas Mann Zimmer: In der Stadtbibliothek, Hindenburgstr. 21, ist ein Nachbau des Thomas-Mann-Zimmers mit einem Schreibtisch und vier Stühlen zu sehen.
Alter Bahnhof: Die Reisen nach Bad Tölz unternahm Thomas Mann nur mit der Eisenbahn; Tölz hatte seit 1874 einen Bahnanschluss nach München. Der Alte Bahnhof ist heute in Privatbesitz. (Hindenburgstr. 33)
Klammerweiher: Hier lernten seine Kinder schwimmen; entlang des Wanderweges umrundet man zur Hälfte den idyllisch gelegenen Klammerweiher.
Baumreihe: Im Jahr 2006 wurden von der Stadt Bad Tölz sechs Bäume entlang des Klammerweihers gesetzt. Tafeln vor den Bäumen benennen die Familienmitglieder und ihre Lebensdaten.
Landhaus Thomas Mann: Im Besitz des Ordens der Armen Schulschwestern und nicht für die Öffentlichkeit zugänglich (Heißstraße 31) Eine Gedenktafel am Eingang wurde von der Stadt im Jahr 1966 angebracht. Ausgewählt sind die Zeilen aus dem Schneekapitel im Zauberberg: "Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken".
Prinzregent Luitpold-Heim: Thomas Mann unterstützte den Bau mit 200 Reichsmark. Heute eine Wohnungseinrichtung der Tölzer Lebenshilfe und nicht öffentlich zugänglich. (Bairawieser Str. 26)
Cafe am Wald: Das mit der Villa Mann gleichzeitig errichtete Cafe am Wald diente Thomas Mann von Anfang an als bevorzugte Unterkunft für seine Übernachtungsgäste. Heute "Hotel am Wald" (Austraße 39)
Schlittenberg: Das, was schon seit ewigen Zeiten Kinder am Hintersberg in Tölz unternehmen, haben die Mann-Kinder ebenfalls gemacht. Auch sie sind dort Schlitten gefahren, was dank der schneereichen Winter damals immer möglich war. (Auf dem Kalvarienberg, unweit der Leonardikapelle).
Bad Tölz beherbergt das einzige authentische erhaltene Thomas-Mann-Haus im ganzen deutschen Sprachraum. Durch vielfältige Aktivitäten zur Pflege dieses literarhistorischen Erbes ist Bad Tölz in den Kreis der bedeutenden Thomas-Mann-Städte eingetreten. Aus diesem Grund versammeln sich im Oktober 2020 (18.-29.10) – sofern "Corona" es zulässt – namhafte Literaten, Künstler und Wissenschaftler erstmals zum Tölzer Thomas-Mann-Festival und beleuchten die Novelle "Der Tod in Venedig" aus unterschiedlichen Perspektiven. Fortan soll das Event alle zwei Jahre stattfinden. Weiter ist im Frühjahr 2021 eine große Thomas-Mann Sonderausstellung im Stadtmuseum geplant.
Gut zu wissen:
Infos: Referat für Stadtmarketing u. Tourismus; Max-Höfler-Platz 1, 83646 Bad Tölz, Tel. 08041 78670; www.bad-toelz.de
Hinkommen: mit dem Auto: über die Autobahn A 8 (München-Salzburg) Ausfahrt Holzkirchen und weiter auf den Bundesstraßen 13 und 471 oder über die Autobahn A 95 (München-Garmisch) Ausfahrt Wolfratshausen.
Mit der Bahn: stündlich mit der Bayerischen Oberlandbahn (OLB) von München Hauptbahnhof, Gleis 30 bis 35
Gut Essen: Tölzer Binderbräu: Bayerische Wirtshauskultur mit musealen Ambiente: Gebraut werden Helles, Dunkles und Weißbier sowie saisonale Bierspezialitäten im kupfernen Sudhaus mitten im Wirtshaus. (Tölzer Binderbräu, Ludwigstr. 12, 83646 Bad Tölz, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 10-23 Uhr; Tel. 08041 2609; www.toelzer-binderbraeu.de
Unbedingt anschauen: Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt: Die Stadtpfarrkirche thront über dem früheren Handwerkerviertel, dem Gries, dass heute wie der Altstadtkern unter Ensembleschutz steht. Der heutige Bau stammt von 1466, da ein großer Brand den Markt 1453 samt der frühgotischen Kirche zerstört hatte. Baumeister war ein Einheimischer "Maister Michael Gugler, Maurer und Purgur zu Tölltz". Der Turm wurde lange Zeit unvollendet von einem Satteldach bedeckt und erst 1877 mit einer neogotischen Turmspitze bekrönt. Neu war bei der Umgestaltung der Kírche der Einbau eines Flügelaltars, der zu kirchlichen Festen geöffnet, Einblick auf eine Altarkrippe mit lebensgroßen Figuren des Bildhauers Anton Fröhlich gewährt. (Frauenfreithof 1 Bad Tölz).