Von Michael Stephan
Von herzlosen Drachen über schweigende Regenten bis zu inspirierten Künstlern: Murnaus Themenwege faszinieren besonders im Winter. Anfangs waren es vor allem die "Sommerfrischler", die der Enge und Hitze der Großstadt entfliehen wollten: Denn als 1879 die Eisenbahnlinie München-Murnau eröffnete, etablierte sich der Markt am Staffelsee schnell als perfektes, sommerliches Naherholungsziel für die Münchner Boheme. Könige, Literaten und Maler fanden im lebendigen Ortskern und der lieblichen Natur Erholung und vor allem Inspiration.

Inzwischen hat sich die kreative Marktgemeinde zur beliebten Ganzjahres-Destination weiterentwickelt. Gut zu bewältigende Themenwanderwege durch die hügelige Voralpenlandschaft laden murnau Fußgaengerzone Schnee Winter Benni Hackl

Besucher heute dazu ein, die Faszination der illustren Murnau-Fans auf Schritt und Tritt nachzuempfinden. Besonders reizvoll sind diese ausgedehnten Spaziergänge an sonnigen Wintertagen, wenn sich bei knackig-klarer Sicht die verschneiten Gipfel des Wettersteingebirges am Horizont abzeichnen.

Königsweg: Open-Air-Museum mit traumhafter Aussicht
Spätabends meist, nachdem er seine Schlösser am Starnberger See besucht hatte, der Kutschweg bis in die geliebten Berge aber zu beschwerlich schien, kehre König Ludwig II. in Murnau ein im Hotel Post, das noch heute am Obermarkt Gäste beherbergt. Auf die schlechten Zähne des Monarchen Rücksicht nehmend kredenzten ihm August Bayerlacher und Frau zwar gute bayerische Kost, doch, so Murnau Blaues Land
will es die Legende, püriert. Gern ließ der Märchenkönig seinen Blick von einem nahe gelegenen Aussichtshügel aus über den Staffelsee schweifen und entwarf im Geiste auf der Insel Wörth ein Mini-Versailles. Die Besitzer verweigerten ihm den Verkauf der Insel, Ludwig kehrte Murnau den Rücken. Posthalter Bayerlacher aber blieb ihm treu und ließ 1894, sechs Jahre nach Ludwigs Tod, Bayerns erstes Ehrendenkmal für den "Kini" erbauen. Es steht direkt vor dem heutigen Kultur- und Tagungszentrum und ist die erste Station des Naturlehrpfads "Königsweg". Der schlängelt sich über vier Kilometer durch den Ort und über die Ludwigshöhe, führt zum Staffelsee und endet nach zwei Stunden wieder am "Kini". 17 Infotafeln und zwei Pavillons machen aus dem Weg ein Open-Air-Museum, das unterhaltsam über die Ortsgeschichte informiert.

Drachenstich-Rundweg am Moos entlang
Mit sechs Kilometern Länge ist der Drachenstich-Rundweg konditionell vielleicht der forderndste, aber sich der landschaftlich schönste Themenweg, führt er doch in weiten Teilen am Murnauer Moos entlang. Start- und Endpunkt der dreistündigen Wanderung ist wieder das Kultur- und Tagungszentrum. Ob Gelbbauchunke oder Turmfalke, ob Knabenkraut oder Karlszepter: Die 42 Quadratkilometer große, aus Wiesen, Wald sowie Hoch- und Tiefmooren bestehende Ebene, die von Estergebirge, Wettersteinmassiv und Ammergebirge gerahmt wird, ist das artenreichste und ursprünglichste Moor nördlich der Alpen und Heimat vieler vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Wer dem Drachenstichweg folgt, erreicht bald einen Höhenrücken, von dem sich das Moos bis fast nach Garmisch ausdehnt. Jetzt heißt es Innehalten und Staunen, wenn der Blick bis zu den verschneiten Bergspitzen geht.

Horvath-Rundweg: "Gegen die Dummheit und die Lüge"
"Ich habe nur zwei Dinge, gegen die ich schreibe, das ist die Dummheit und die Lüge. Und zwei, wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrichtigkeit". So schrieb Ödön von Horvath 1932, ein Jahr, bevor er Murnau verließ und die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergriffen. Zehn Jahre lang hatte der Markt dem ungarisch-deutschen Autor als Inspirationsquell und als Reibungsfläche gedient In Horvaths kreativster Schaffenszeit entstanden die z.B. die Komödie "Zur schönen Aussicht" und der Roman "Jungend ohne Gott". Ihr starker Wiedererkennungswert war für die Murnauer nicht immer schmeichelhaft, das Verhältnis zum Dichter, der ihnen gar arg aufs Maul schaute, ambivalent. Dennoch widmet sich heute ein 3,3 Kilometer langer Rundweg dem Dramatiker, der zunächst durch den von eigentümergeführten Geschäften gesäumten Unter- und Obermarkt führt. Wer nach dem Erlebnis-Exkurs in die deutsche Literatur der Sinn noch nach zeitgenössischer Kunst steht, macht noch einen Abstecher ins Angerbräu im Untermarkt. Das Hotel beherbergt nämlich die Galerie "Blaue Burg" und damit wechselnde Ausstellungen lokaler Künstler.
Kunstspaziergang zur Wiege des "Blauen Reiter"
Im August 1908 zog es auch Wassily Kandinsky und Gabriele Münter nach Murnau. Wie sehr es das Künstlerpaar inspirierte, erklärt Münter so: "Ich habe da nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht – vom Naturabmalen zur Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren – zum Geben eines Extraktes". Folgerichtig liegt der Wiege des "BlauenReiter" und damit ein bedeutender Bestandteil des Deutschen Expressionismus in Murnau. Genauer: Im Münter-Haus in der Kottmüller Allee. Durch diese vor 150 Jahren angelegte Eichenallee führt heute der Kunstspaziergang, der die Werke der Expressionisten an ihren Originalschauplätzen zeigt. So können die Motive an Ort und Stelle mit der Realität abgeglichen werden. Dank der Dauerausstellung im Schloßmuseum lässt sich der Schritt von "Naturmalen" zum Expressionismus, den Münter und ihre Freunde machten, detaillierter nachvollziehen. Der einstündige Spaziergang führt übrigens auch durch den Innenhof des Hotels Griesbräu, in dem sich Münter und Kandinsky während ihres ersten Murnau-Aufenthaltes sehr wohl gefühlt haben.
Mehr zur Region:
Tourist Info Murnau, Untermarkt 13, 82418 Murnau, Tel. 08841 476240; www.murnau.de
(Fotos: Tuoristinfo Murnau)