Von Klaus Stein
Aus ganz China waren sie nach Shenzhen gekommen, ja sogar aus Los Angeles war ein Fan von Guru Guru über den Pazifik geflogen, nur um seine Lieblinge leibhaftig zu erleben. Die Deutsche Kultband hatte nach einigem Zögern eine Einladung zu einem Festival in der Nachbarstadt Honkongs angenommen. Shenzhen ist eine junge Stadt mit vielen jungen Menschen, gilt als eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in China. Von zirka 3.000 Einwohnern im Jahre 1950 wuchs die Provinzstadt auf über 11 Millionen im Jahre 2017 an.

Ziemlich Jung waren nicht nur die beiden Festival-Veranstalterinnen sondern auch das Publikum in der mit 800 Zuhörern ausverkauften Halle. Manager Karlheinz Osche aus Dudenhofen und den Musikern um Mani Neumeier war vor ihrer Reise nicht bewusst gewesen, dass es im Reich der Mitte eine lebendige Underground-Szene gibt. Umso überraschter waren die wichtigsten Protagonisten des "Krautrock", dass sie frenetisch bejubelt wurden und so etwas wie die Stars des fünftägigen Festivals waren, bei dem an jedem Abend eine Vorgruppe sowie ein Hauptakt auftraten.
"Bei uns war ein einzelner Bassist das Vorprogramm. Der war elektronisch verstärkt etwa zehn Mal so laut wie Guru Guru - es war nicht zum aushalten", so Osche im Gespräch mit unserer Zeitung.
Dass China eine Diktatur ist zeigte sich für die Band darin, dass sie alle ihre Songtexte zuvor der Zensur vorlegen musste. "Die haben dann auch einiges gestrichen, wovon das Meiste allerdings sowieso nicht gespielt werden sollte", so der Manager. Guru Guru habe dann ihr normales Programm absolviert ohne Rücksicht auf die Zensur. Nur den "Elektrolurch", der einzige in Deutsch gesungene Titel, bei dem Mani Neumeier eine Maske trägt, musste aus dem Programm genommen werden, denn diese Maske sei zu sperrig für das Gepäck gewesen, sagte Osche.
Nach dem Konzert hatte sich eine lange Schlange an dem Tisch gebildet, an dem Guru Guru noch stundenlang Autogramme geben mussten.
Die Deutschen waren am Ende begeistert von ihrem China-Abenteuer. "Die Organisation war hervorragend und die Chinesen zeigten sich interessiert und gastfreundlich, sodass wir uns vorstellen könnten, noch einmal in China aufzutreten." Für Manager Osche war es auch wichtig, dass finanziell alles korrekt ablief. Die in Lizenz vor Ort hergestellten Fan-T-Shirts waren ebenfalls alle ausverkauft. (Foto: privat)

Hintergrund:
China ist ein Land mit vielen Facetten und hält für uns Europäer einige Überraschungen parat. So gibt es jenseits der neuen Glitzerfassaden, jenseits der viel beschriebenen Umbruch-Erlebnisse, eine Untergrund-Musikszene – und offenbart damit ein noch ziemlich unbekanntes Gesicht des Riesenreichs. "Die Musiker sehen sich nicht als politische Revolutionäre, ihre Texte predigen keine Freiheit, und doch sind sie der kommunistischen Regierung ein Dorn im Auge. Jede Textzeile muss durch die Zensurbehörde. Weder im Fernsehen noch im Radio wird ihre Musik verbreitet. Alles zielt darauf ab, die Rockmusik in China klein zu halten und zu kontrollieren. Nur mit kleinen Live-Konzerten jenseits der öffentlichen Wahrnehmung können sich die Rockmusiker über Wasser halten", zeigt Tina Naber in einem Dokumentarfilm auf.