Es ist Nachmittag, die Sonne scheint durch die Fenster und die Wohngruppe trifft sich zur gemütlichen Kaffeerunde. Tatjana Ballin, die jüngste Mitbewohnerin, ist Mitte 20, in ihrer Hand lässt sie einen Schlüssel klappern, sie summt dabei. Marita Schröder, Mitte 60, hat ihre Stifte ausgepackt. Malen ist ihre große Leidenschaft. Jürgen Braunschweig und seine Mitbewohnerin Elin Yildiz (Name von der Redaktion geändert) sprechen über den nächsten Ausflug.

Es soll an den Rhein gehen. Auch Günter Hartmann freut sich schon darauf, noch lieber würde er aber ins Stadion, er ist großer Fußballfan. Auf seinem Rollstuhl kleben viele Sticker vom 1. FCK. Alle Bewohner hier sitzen in Rollstühlen, manche sind blind, einige können nicht sprechen.
Die Stimmung ist gut an diesem warmen Frühlingstag. Laura Drumm (24) und Alina Ziegler (22) unterstützen die Bewohner in ihrem Alltag in der Wohngruppe. Tagsüber geht es in die Tagesförderstätte, die sich auch an dem Standort des Ökumenischen Gemeinschaftswerks in Landstuhl befindet. Im Wohnheim gibt es 50 Plätze, gelebt wird in verschiedenen Wohngruppen. Angela Daub zeigt Ziegler, was sie heute in der Therapie geübt hat: "Arme heben und strecken" – "ganz schön anstrengend, ich brauche erstmal Schokolade", resümiert sie. Tatjana Ballins Finger streichen nun über ein Tuch. Drumm bietet ihr einen Ball mit Noppen an. Ballin tastet und greift zu, sie summt nun lauter. Immer wieder lacht sie. Ihre blonden Haare leuchten in der Sonne. An ihrem Summen, dem Stimming (Abkürzung für self-stimulatory behavior, deutsch "selbststimulierendes Verhalten") kann Drumm auch hören, wie es Ballin gerade geht. "Als es ihr gesundheitlich mal nicht so gut ging, wurde sie sehr leise."

"Im Zuhause der Menschen"
Drumm hat ihre Ausbildung im Kindergarten gemacht, bei den Probearbeiten in der Wohngruppe habe es ihr "unbeschreiblich gut gefallen", erzählt sie. "Wir sind hier im Zuhause der Menschen, dadurch ergibt sich eine lockere, ungezwungene Stimmung." Auch Ziegler wollte nach ihrem Pflegepraktikum "eigentlich gar nicht mehr weg." Drumm wünscht sich für die Bewohner mehr Berührungspunkte mit Menschen ohne Behinderung. "Unsere Ausflüge sind immer toll, dieses Jahr geht es für die Bewohner in den Europapark und einige fahren gemeinsam nach Holland in den Urlaub, aber ich will auch im Alltag schöne Momente und Erinnerungen schaffen." Von Ausflügen und Urlauben schwärmen auch die Bewohner, etwa Hartmann und seine Partnerin. Sie lebt auch im Wohnheim, aber in einer anderen Gruppe. "Seit über zehn Jahren sind wir zusammen." In seinem Zimmer hängen gemeinsame Fotos der Beiden: Das Paar ist in einem Pool und lacht in die Kamera. Daneben dominiert seine zweite große Liebe die Raumgestaltung: der 1. FC Kaiserslautern. Eine Wand ist rot-weiß gestrichen und Spielerfotos zieren die Wände. Jedes Zimmer ist individuell eingerichtet, manche Bewohner haben ein Einzelzimmer, andere teilen sich zu zweit einen Raum. Von nebenan ertönt Musik, Daub hört ihre Lieblingsband, "Die Amigos". "Schlagermusik finde ich ganz toll", schwärmt sie.
Das Gemeinschaftswerk bietet in den drei Geschäftsbereichen "Soziale Teilhabe im Arbeitsleben", "Soziale Teilhabe" sowie "Bildung und Entwicklung" ambulante, teilstationäre und stationäre Hilfen für Menschen mit Beeinträchtigungen an. Im stationären und teilstationären Bereich werden rund 2000 Menschen betreut. Hinzu kommen rund 2000 Menschen, die ambulant unterstützt werden. Außerdem betreut und qualifiziert das Gemeinschaftswerk langzeitarbeitslose Menschen. Das Gemeinschaftswerk ist Alleingesellschafter des Inklusionsunternehmens Simotec GmbH in Kaiserslautern.
Das Ökumenische Gemeinschaftswerk Pfalz beschäftigt rund 1200, Simotec rund 200 Mitarbeitende an mehr als 40 Standorten in der Pfalz und Saarpfalz.

"Raus in die Welt"
Mike Shkafi ist 24 Jahre alt und wohnt in der Wohngruppe gegenüber, bei den "jungen Wilden". Einst als Kinderwohngruppe gestartet, wohnen hier nun junge Erwachsene und zwei Jugendliche. Shkafi ist mit vier Jahren in das Wohnheim eingezogen und hier aufgewachsen. Gerade hat er es sich in seinem Zimmer bequem gemacht und spielt sein Lieblingsspiel auf dem Tablet: "Candy Crush", sagt er und grinst, sein Finger saust über das Tablet und lässt eine neue Reihe Bonbons explodieren. Mike liebt Hunde, er erzählt, dass Mitarbeiter manchmal ihre vierbeinigen Freunde mit ins Wohnheim bringen. "Es ist schöner hier, wenn die Hunde da sind", sagt er.
Auch Alina Ziegler hatte ihren Hund schon dabei. "Ich würde so gern eine Weiterbildung in der tiergestützten Arbeit machen, aber das ist echt teuer", erzählt sie. Ein Therapiehund im Wohnheim wäre ein großer Gewinn für die Bewohner, ist sie sich sicher. "Barrieren müssen in der Welt, aber auch in den Köpfen abgebaut werden, unsere Bewohner sollen auch einfach raus in die Welt können." Sie hofft, dass Menschen mit Behinderung bald ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind. "Aber dafür muss noch viel passieren." Günter Hartmann wünscht sich, dass seine Mitmenschen ein "offenes Ohr und ein offenes Herz" für die Bewohner haben. Im Wohnheim wird es nun langsam Zeit für das Abendessen, egal ob Sonde, Flüssignahrung, Brei oder Brotzeit – bei einer gemeinsamen Mahlzeit schmeckt alles besser.

"Auftrag der Kirche"
Die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Dorothee Wüst, und der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann haben während der Woche für das Leben gemeinsam Einrichtungen des Gemeinschaftswerks in Landstuhl besucht. Unter anderem in der Tagesförderstätte und in den Wohnangeboten erhielten sie Einblicke und kamen mit jungen Menschen ins Gespräch. Wüst machte den Wert der Teilhabe deutlich: "Dazugehören. Selbstverständlich und ohne darum betteln zu müssen. Darauf haben Menschen ein Recht, dafür trägt die Gesellschaft Verantwortung. Gerade angesichts von Pluralität und Diversität gehören alle Bereiche von Teilhabe in den Blick, um möglichst jedem Menschen eine gute Lebensqualität zu gewährleisten. Und zu der gehört unbedingt, zum gesellschaftlichen Leben dazuzugehören und nicht außen vor zu sein. Insofern ist es gut, wenn die "Woche für das Leben" den Blick gezielt dorthin lenkt, wo genau dies geschieht - oder auch nicht. Weil viel Gutes geschieht, aber auch noch viel zu tun ist." Auch Wiesemann sprach sich für Inklusion aus und verwies auf die Verantwortung der Kirche: "Junge Menschen mit Behinderung wünschen sich ein selbstbestimmtes Leben. Sie sehnen sich nach Schulen und Arbeitsplätzen, an denen sie ihre Fähigkeiten und Talente einbringen können. Nach anderen Menschen, die ihre Verschiedenheit als Bereicherung ansehen. Nach einer Gesellschaft, die umfassende Teilhabe ermöglicht. In vielen Einrichtungen unserer Kirchen – wie hier im Ökumenischen Gemeinschaftswerk – wird jungen Menschen mit Behinderung genau das ermöglicht. Dafür bin ich den haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in Caritas und Diakonie und weit darüber hinaus zutiefst dankbar. Als Kirche ist es unser Auftrag, in besonderer Weise für benachteiligte Menschen da zu sein: Ihnen nach dem Vorbild Jesu ganz konkret zu helfen. Für sie und mit ihnen die Stimme zu erheben. Uns einzusetzen für eine Gesellschaft, die niemanden ausschließt." ( Foto: view)