Seit Wochen tobt nach dem Überfall Russlands in der Ukraine ein erbitterter Krieg mit vielen Toten und der Zerstörung ganzer Großstädte. Anlässlich der Feier zum 1. Mai führte Wolfgang Arndt mit dem Speyerer DGB-Vorsitzenden Axel Elfert ein Gespräch darüber, wie man aus der Spirale von Gewalt und immer tödlicheren Waffen herauskommt:
Wolfgang Arndt: Am 1. Mai hast du in deiner Rede gesagt dass die Gewerkschaften solidarisch sind mit dem ukrainischen Volk und dem Gewerkschaftsverband. Du hast auch von Entsetzen, Schock und Wut angesichts der Kriegsverbrechen gesprochen. Wird der russische Überfall in euren Reihen einhellig verurteilt?
Axel Elfert: Ein Krieg ist durch nichts zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, kaum jemand von unseren Generationen konnte sich diese Situation in Europa bisher vorstellen. Die Gewerkschaften lehnen jede Art von Gewaltanwendung grundsätzlich ab.
Wolfgang Arndt: Gewerkschaften sind traditionell für die Abrüstung und gegen den Krieg. Im aktuellen Konflikt wird aber behauptet, man könne mit Putin nicht verhandeln und es wird auf Aufrüstung und militärische Siege gesetzt. Was ist Deine Meinung dazu?
Axel Elfert: Die DGB-Gewerkschaften weisen auf die besondere Geschichte von Deutschland und dessen Verantwortung für Frieden in Europa hin. Aufrüstung und Waffen haben in der Geschichte nie eine friedliche Klärung erbracht, im Gegenteil, dafür gibt es genügend Beispiele in der Welt. Nutznießer und Gewinner sind nur die Militärhierarchien, Rüstungskonzerne und deren Netzwerke. Der normale Bürger hat die Nachteile.
Erinnern wir an die späten 70iger und frühen 80iger Jahre, wo der Widerstand der Friedensbewegung gegen die Stationierung von Atomraketen oder Giftgas stattfand.
Wolfgang Arndt:In Deiner Mairede hast Du davor gewarnt, dass Krieg und Gewalt auch uns treffen können. Der Bundeskanzler und viele Stimmen aus der Gesellschaft warnen vor einer Ausweitung des Krieges, bis hin zu einem Atomkrieg. Besteht Deiner Meinung nach diese Gefahr?
Axel Elfert: Dies ist kein Hirngespinst, sondern eine mögliche reale Gefahr. Bei einer Eskalation, zum Beispiel durch provokante Zwischenfälle wie Grenzverletzungen, kann die NATO mit Russland in einen Brandherd hineingezogen werden, ein Weltkrieg würde unabsehbare Folgen haben. Unsere Region mit Speyer liegt inmitten einer bedrohten Zone, mit Flugplätzen, Industrieanlagen, dichter Wohnbesiedlung, Straßennetzen und nicht zu vergessen, chemische und hochgefährliche Chemieanlagen. Insoweit ist eine vorsichtige politische Haltung des Kanzlers nachzuvollziehen.
Wolfgang Arndt: Über die Rolle der NATO wird in Deutschland heftig diskutiert.
Ist die NATO ein Teil der Lösung oder ist sie nur ein weiteres Militärbündnis zum Schutz von westlichen Ressourcen und Einflussgebieten?
Axel Elfert: Die Ausdehnung und Einflussnahme der NATO erstreckte sich in den vergangenen Jahren z.B. über Länder wie Polen, Estland , Lettland, gegenüber Russland. Aufgrund der Krisensituation denken auch Schweden und Finnland über einen Beitritt in die NATO nach. Der Anstieg des Rüstungshaushalts zur Erfüllung des geforderten 2-Prozent-Ziels der NATO sehen die Gewerkschaften kritisch hinsichtlich notwendiger Sozial und Bildungsaufgaben. Die zu beobachtende militärische Entwicklung hinsichtlich Aufrüstungs- und Expansionsstrategien zeigten sich bereits vor der Krimkrise 2014 in den Kriegen in Tschetschenien, Afghanistan oder Syrien, um nur einige Brandherde zu erwähnen; sie waren Signale der Abkühlung der gegenseitigen Verständigung.
Wolfgang Arndt: Seit Jahren kämpfen soziale Initiativen in Deutschland mehr oder weniger erfolglos für Investitionen z.b. in Erziehung, Bildung und Gesundheitswesen und um die wachsende Armut zu stoppen. Nun wurden nach dem Überfall auf die Ukraine im Schnellverfahren 100 Milliarden € aus dem Hut gezaubert und für die Bundeswehr bereitgestellt. Stimmen in Deutschland die Prioritäten?
Axel Elfert: Rüstung und Militärhaushalte gehen immer auf Kosten von zivilen und sozialen Aufgaben für die Bevölkerung: Umwelt , Renten, Bildung, Sozialbudget, Gesundheitsversorgung oder Verkehrsinfrastruktur sind Faktoren, die dann die politisch Verantwortlichen herunterfahren oder vernachlässigen. Immer heißt dann die Formel: ‚Dafür ist nicht genug Geld vorhanden‘: 100 Milliarden Euro sprudeln plötzlich zusätzlich für die Bundeswehr, so einfach aus dem Staatssäckel, man fragt sich, woher fließt da soviel Geld , trotz bisheriger Einsparungen? Und wo sind eigentlich die bisherigen Etatmittel für die Streitkräfte hingekommen, wenn bei der Bundeswehr eine solche Mangelwirtschaft herrscht? Tatsache ist, dass die angesetzten Sanktionen gegen Putin auch bei uns Wirtschaft und Bevölkerung angesichts von Lieferkettenproblemen und Produktionsauslagerungen stark treffen. Die Schere von Arm und Reich wird sich vermutlich noch weiter öffnen, Unzufriedenheit und Demokratieverdruss dürften bei vielen Betroffenen noch weiter zunehmen.
Kriege, wie jetzt in der Ukraine, bringen nur Tod und unendliches Leid. Deshalb müssen wir als Zivilgesellschaft die Kriegsparteien drängen, Gespräche für einen Waffenstillstand – oder besser Lösungen zum Frieden - zu tätigen; das gilt derzeit zwar als blauäugig, aber es kommt dabei auf den Druck an. Es ist der einzige Weg um die Eskalation zu stoppen bei der ein einzelnes Streichholz möglicherweise ein ganzes Tanklager zur Explosion bringen kann. NEIN ZUM KRIEG!