"Erhellend, ernüchternd und ermutigend" sei die mehrtägige Lernreise nach Potsdam gewesen, resümierte Oberkirchenrätin Dorothee Wüst von der Evangelischen Kirche der Pfalz. 32 Vertreterinnen und Vertreter aus mehreren Kirchen haben sich vom 2. bis zum 5. März in Berlin und Potsdam über den Klimawandel und seine Folgen informiert.

Das tagefüllende Programm sei "aufrüttelnd, informativ und motivierend" gewesen, bilanzierte Generalvikar Andreas Sturm vom Bistum Speyer. Neben den wissenschaftlichen Fragestellungen standen theologische Überlegungen und spirituelle Erfahrungen im Mittelpunkt. Deutlich wurde: Die Kirche kann eine wesentliche Rolle dabei spielen, die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken und durch eine ökologische Spiritualität zu einem anderen Lebensstil beizutragen.
Die Themen der Reise reichten von der Erdsystemforschung im Potsdam Institut für Klimafolgenforschung bei Prof. Wolfgang Lucht, über den Wandel durch die Digitalisierung mit Dr. Astrid Schulz von der Geschäftsstelle des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen bis zu Fragen des Geoengineerings beim Institute for Advanced Sustainability Studies (Institut für nachhaltige Entwicklung) mit Prof. Mark Lawrence.
"Die Menschheit darf nicht eine Kraft des Todes sein, sondern des Lebens", so Wolfgang Lucht, der schon Queen und Kanzlerin in seinem Institut zu Gast hatte. Er forscht seit Jahren an den Mechanismen des Erdsystems und inwieweit planetarische Grenzen bereits überschritten sind. Er sieht noch Handlungsspielräume, um den kommenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Allerdings sei Eile geboten, weil das Zeitfenster, um dem Klimawandel gegenzusteuern, immer kleiner wird. "Die globalen CO2-Emissionen steigen weiter. Im Moment sind wir auf dem Weg zu vier bis fünf Grad Temperaturerhöhung bis zum Ende des Jahrhunderts. Schaffen müssten wir zwei Grad, besser noch 1,5 Grad. Wir sind überhaupt nicht auf Kurs", so seine eindringliche Warnung.
Astrid Schulz vom Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen betonte: "Wir brauchen den gesellschaftlichen Diskurs über die Digitalisierung, denn die Risiken reichen von der Überschreitung planetarischer Leitplanken, einem digital ermächtigten Totalitarismus bis zur Unterhöhlung von Demokratien und einer Spaltung der Weltgesellschaft." Digitalisierung sei keine Naturgewalt, sondern bedürfe der menschlichen Gestaltung. Zudem sei sie mit dem Thema der Nachhaltigkeit zu verbinden.
Die Reduzierung des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid sei so herausfordernd, dass auch über technische Eingriffe in die Atmosphäre nachgedacht und geforscht werden müsse, erläuterte der für das Geoengineering zuständige Forscher Mark Lawrence vom Institute for Advanced Sustainability Studies. Über die Grenzen des Machbaren müsse mit Experten und der gesamten Bevölkerung diskutiert werden. "Wir brauchen die Kirchen als Dialogpartner für die Frage, in welcher Welt wir leben wollen", sagte Lawrence. Innovation als Leitbegriff der gesellschaftlichen Debatte sei ein leerer Begriff. Er müsse mit der Idee einer sozialen und nachhaltigen Entwicklung gefüllt werden.
Die Lernreise nach Potsdam ist der Beginn einer noch intensiveren ökumenischen Zusammenarbeit beim Klimaschutz. Die ökumenische Lerngruppe hat das Ziel, das drängende Zukunftsthema noch mehr als bisher in den Blick kirchlicher Arbeit zu rücken und darüber zu informieren. Konkrete Aufgabenstellungen ergäben sich sowohl hinsichtlich der Mobilität, der gemeinsamen Nutzung kirchlicher Gebäude, des klimafreundlichen Bauens als auch einer ökologischen und spirituellen Schöpfungstheologie sowie der Vernetzung aller gesellschaftlicher Akteure, betonte der Generalvikar. Es sei eine wichtige Erkenntnis gewesen, dass sowohl Wissenschaft als auch politische Berater das Gespräch mit den Kirchen als Experten bewusst suchten, so Oberkirchenrätin Wüst. Die Reisegruppe entwarf zugleich Perspektiven für die Weiterführung der Aktivitäten, zum Beispiel durch kirchliche Richtlinien für Nachhaltigkeit oder Gesprächsangebote für Erwachsene, aber auch für Kinder und Jugendliche, um gemeinsam über die Welt von morgen zu reden. "Klimaschutz ist schon längst kein Nischenthema mehr, weder in der Gesellschaft noch in der Kirche. Von den Umweltgefährdungen her müssen wir unser kirchliches Handeln an den Zielen der Nachhaltigkeit, der globalen Gerechtigkeit und des Friedens mit unseren Mitgeschöpfen neu ausrichten", waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihrem Resümee einig.
"Die Zet der Entschuldigungen ist vorbei. Die Kirche als Anwalt der Schöpfung muss die Stimme erheben und handeln", sagte die Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz und Landessynodale Barbara Schleicher-Rothmund, die Teil der Reisegruppe war. Auch Jürgen Wienecke von der Selbständigen Evangelischen-lutherischen Kirche sieht die Notwendigkeit zu entschlossenem Handeln: "Die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel führt uns zurück zur Theologie. Der erste Glaubensartikel handelt von der Schöpfung. So müssen wir auch als kleine Gemeinden das eigentlich Alltägliche und damit den Schöpfer wieder in den Blick nehmen."
Weitere Informationen:
www.wbgu.de
www.pik-potsdam.de
www.iass-potsdam.de